„Gott schreibt gerade, auch auf krummen Zeilen“

 

Helmut Gall liest am 18. Mai im Rocca-Saal aus „Mann Gottes, was nun?“

Denzlingen (wil). Diesen Freitag, 18. Mai, um 20 Uhr, stellt Helmut Gall im Rocca-Saal über der Mediathek sein kürzlich erschienenes Buch vor mit dem Titel „Mann Gottes, was nun?“ Den Denzlingern ist er vor allem als ehemaliger Lehrer am Gymnasium und den WZO-Lesern als langjähriger „Von Haus zu Haus“-Berichterstatter bekannt, in seinen Memoiren beschreibt er nun, wie er vom katholischen Priester zum glücklichen Ehemann und Familienvater wurde.

1942 in Philippsburg als drittes Kind eines Bäckermeisters geboren, entbindet ihn die Heirat seiner Schwester mit einem Bäcker von der Übernahme des Familienbetriebs und ermöglicht  eine akademische Laufbahn. Die Sozialisation in einem katholischen Umfeld mit positiv besetzten kirchlichen Vorbildern und eine Familie, die ihm das Ergreifen des Priesterberufs als positiv und wünschenswert vermittelt, lassen seine spätere Entscheidung für eine kirchliche Laufbahn nachvollziehbar werden. Ungeachtet dieser Prägungen wird in seinen Erinnerungen deutlich, dass Helmut Gall den Priesterberuf nicht unüberlegt ergriff und seine Arbeit schätzte und liebte, aber sich eben trotz und nicht wegen des Zölibats dafür entschied. Entscheidend dafür war wohl auch, dass sein Theologiestudium in die Aufbruchsstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils fiel, als die Neuregelung der Zölibatsfrage vielen jungen Theologen nur noch als eine Frage der Zeit erschien.

 

Zwei Lebenswege kreuzen sich

Parallel zu seiner eigenen Geschichte schildert Gall den Werdegang der Ordensschwester Vinzentia, die nach eigenen schmerzvollen Erfahrungen den Austritt aus dem Orden wählt und - nun wieder als Marianne – bei ihm als Haushälterin arbeitet. Bald möchte er das problemlösende Gespräch mit ihr nicht mehr missen, den menschlichen Kontakt erfährt er als große Unterstützung und wohltuendes „Korrektiv“ in einem Beruf, in dem man der Bandbreite menschlichen Lebens und Leidens oft im Alleingang begegnen muss. Gall zieht aus der aufkeimenden Beziehung Konsequenzen und lässt sich 1974 laisieren. Marianne und er heiraten unter etwas bizarr wirkenden Auflagen sogar kirchlich, nach einem späten Zweitstudium arbeitet er als Lehrer am Gymnasium. Dass er als ehemaliger Priester fortan weniger liturgische Aufgaben wahrnehmen darf als jeder „normale“ Laie erscheint grotesk.

Die Reaktionen des Umfelds, wenngleich überwiegend wohlwollend, sind nicht immer takt- oder gar verständnisvoll - zum Beispiel, als ein anerkanntes Mitglied der Kirchengemeinde seiner schwangeren Frau gegenüber Bedenken kundtut, ob Marianne unter diesen „wenig Glück bringenden Umständen“ wohl ein gesundes Kind zur Welt brächte ... An solchen Stellen ahnt man, welche Zweifel die beiden geplagt haben müssen, und wünscht sich fast, der Autor wäre hier in seiner Schilderung noch intensiver auf die inneren Konflikte eingegangen - schließlich ist dies der Dreh- und Angelpunkt, der beide Leben zusammenführt und für immer verändert.

Gläubig und glücklich – nur als Laie?

Das Ehepaar Gall hat seinen Glauben an Gott nie verloren und blieb auch nach den genannten Erfahrungen kirchlich aktiv. Fast 40 Jahre später, als glückliche Eltern zweier erwachsener Kinder und Großeltern von vier Enkeln, haben beide ihre Entscheidung nie bereut und sie auf ihrem Weg als notwendig und folgerichtig akzeptiert - „Gott schreibt gerade, auch auf krummen Zeilen“, zitiert Helmut Gall den Dichter Paul Claudel. Es ist eine andere Art von Schmerz, die in seinen Erinnerungen zum Ausdruck kommt: Das Bedauern darüber, dass das Priestertum nach herrschenden Normen nach wie vor nur in Verbindung mit dem Zölibat möglich ist. Insofern sind seine Lebenserinnerungen, wie er auch im Vorwort deutlich macht, vor allem „ein uneingeschränktes Plädoyer für ein Priestertum, das auch ohne Zölibat möglich sein muss“. Dass dieses Plädoyer auf der eigenen, gelebten Erfahrung beruht, macht die Überlegungen für den Leser besonders kraftvoll und bewegend. Engagiert spricht Gall Probleme an, die entstehen, wenn Priester – was nicht selten vorkommt - aus dem zutiefst menschlichen Bedürfnis nach Nähe heraus eine verbotene Beziehung eingehen, und er scheut sich auch nicht, noch heiklere Aspekte wie die Missbrauchsfälle in der Kirche in die Thematik einzuordnen.

„Gott ist nicht so kleinlich“

Das Buch ist sowohl ein persönliches als auch zeitgeschichtliches Zeugnis der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Lektüre schafft einerseits das Gefühl, dass der Autor die richtige Entscheidung getroffen hat, da ihm und seinem Umfeld sonst ein großes Stück Lebensglück versagt geblieben wäre, andererseits wird Unverständnis darüber deutlich, wie sich die Kirche durch ihr Festhalten am „Entweder-Oder“ des Zwangszölibats selbst um einen engagierten Diener gebracht hat – in diesem und wohl auch vielen anderen Fällen. Angesichts des Priestermangels stellt sich die Frage, auf wie viele fähige Seelsorger katholische Gemeinden verzichten müssen, weil sich begabte junge Theologen nicht zur vorgeschriebenen Lebensform durchringen können oder wollen.

„Zum Glück ist Gott nicht so kleinlich“, beruhigte ein Arzt Marianne Gall nach der oben erwähnten taktlosen Bemerkung über ihre Schwangerschaft. Auch als Leser hat man den Eindruck, dass viel gewonnen wäre, wenn sich die katholische Kirche daran ein Beispiel nehmen und die Entscheidung für oder gegen Ehelosigkeit dem Priester selbst überlassen könnte. Eine Hoffnung, der Helmut Gall in „Mann Gottes, was nun?“ eine Stimme verleiht - ohne große Bitterkeit, dafür mit Toleranz und Humor.

Info: „Mann Gottes, was nun?“ von Helmut Gall ist im Rombach-Verlag erschienen. Freitag, 18. Mai, um 20 Uhr: Buchvorstellung und Autorenlesung im Rocca-Saal über der Mediathek (Hauptstraße 134) in Denzlingen.

Quelle: Von Haus zu Haus | 16. Mai 2012 | Ausgabe 20