Unter dem Titel „Mann Gottes, was nun?“ steht das Buch, aus dem Helmut Gall am vergangenen Freitag auf Einladung der Kolpingfamilie im Josefshaus in Kollnau vorgelesen hat. Darin schildert der ehemalige Priester seine Lebensgeschichte und plädiert für die Abschaffung des Pflichtzölibats für Priester in der katholischen Kirche. Knapp 50 Besucher waren gekommen, um sich seine Ausführungen anzuhören und sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen.
Bewegend waren schon die ersten Auszüge, die Gall aus dem Kapitel „Plötzlich in Frankreich“ vorlas. Sein Vater überlebte dank seines deutschen Kompaniechefs und eines französischen Soldaten den Zweiten Weltkrieg. Der nächste Abschnitt, den Gall vortrug, behandelte seine Studienzeit in München. Er beinhaltete heitere Anekdoten ebenso wie eine Äußerung Joseph Ratzingers, die Kirche werde in Zukunft bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen. Gall interpretierte diese Aussage dahingehend, dass nicht nur zölibatär lebende Menschen, sondern vielleicht sogar Frauen gemeint seien.

Unterhaltsam war auch die Geschichte aus seiner Vikarszeit, die er aus dem Kapitel „Als Vikar im Schwarzwald“ vorlas. Er war für einige Tage allein für die Seelsorge am Ort verantwortlich, musste um 7 Uhr morgens den täglichen Gottesdienst abhalten. „Wie üblich hatte ich nachts mein Zimmerfenster geöffnet, so dass ich notfalls auch durch das Läuten der Kirchenglocken aufmachen musste. Doch es kam anders: Die Kirchenglocken waren längst verstummt und ich schlief immer noch.“ Ernster wurde es, als Gall erzählte, wie belastend das Wechselbad der Gefühle von Taufe, Hochzeit und Beerdigung teilweise für ihn war. Er habe das Bedürfnis nach einem Gesprächspartner verspürt.
Mit einigen „Gedanken zum Zölibat“ plädierte Gall eindringlich für die Abschaffung des Pflichtzölibats für Priester in der katholischen Kirche und kam zum eigentlichen Thema seines Buches. Der Zölibat sei eine rein kirchenrechtliche Forderung. Die theologische Begründung mit dem Jesuswort „Wer es fassen kann, der fasse es“ im Matthäus-Evangelium (Mt 19, 11ff) sei zweifelhaft. „Als öffentliches ‚Zeugnis ungeteilter Hingabe‘ wird der Verzicht der Ehe in weitesten Teilen der Gesellschaft nämlich kaum noch von jemand verstanden“, konstatierte Gall.
Dass eine Konsequenz daraus auch sein könnte, dieses Zeugnis ungeteilter Hingabe den Menschen nahezubringen, ist Gall wohl bewusst. Führte er doch weiter aus, die Forderung zur Änderung des Pflichtzölibats habe keineswegs etwas zu tun mit der Kapitulation vor dem Zeitgeist, sondern sei eine im Laufe von Jahrhunderten immer wieder erhobene Forderung. Gall hält den Zölibat für einen Grund des Priestermangels, stellt aber fairerweise fest, dass dahinter mindestens auch eine Krise des Glaubens vieler Menschen stehe.

Dass er unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die friedliche Revolution gegen die DDR-Diktatur zu Montagsdemonstrationen gegen Papst und Bischöfe unter dem Motto „Wir sind das Volk“ aufrief, passte nicht ganz zu den ansonsten sachlichen und fairen Ausführungen über den Pflichtzölibat. Im letzten Kapitel, aus dem er vortrug, betont Gall denn auch wieder seine Verbundenheit mit der Kirche. Wer der Kirche nicht gleichgültig gegenüberstehe, dürfe aber auch nicht aufhören, ein kritisches Auge auf sie zu werfen.
Die Abschnitte aus seinem Buch hatte Gall, wie er eingangs sagte, mehr oder weniger zufällig ausgesucht. Die „Rosinen“, insbesondere die Begegnung mit seiner späteren Frau und die weitere Entwicklung ihrer beider Lebensgeschichten, sparte er dabei aus. Ihr Interesse daran sollten die Zuhörer noch durch eigene Lektüre des Buches stillen können, das im Anschluss zum Kauf angeboten wurde.
Quelle: Von Haus zu Haus vom 4.10.2012