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„Die Ehe ist das schönste Sakrament“


Denzlingen / Elzach (wil). Der Denzlinger Autor Helmut Gall kritisiert in seiner im April 2012 veröffentlichten Autobiografie den Zölibatszwang für katholische Priester und spricht sich aus für „eine innerkirchliche Reform, die von unten kommen muss“. Anlässlich der überarbeiteten Neuauflage seines Buchs liest er am Montag, 17. März, in Elzach (20 Uhr, Katholisches Pfarrzentrum) aus „Mann Gottes – was nun?“.

Der Mann weiß, wovon er spricht: Bevor er sich in den Laienstand zurückversetzen ließ, war er sieben Jahre lang selbst Priester, ein Beruf, den er bis heute bejaht. Mittlerweile ist er seit Jahrzehnten verheiratet, glücklicher Vater und Großvater. Sabine Willner sprach mit ihm über „Mann Gottes, was nun?“ und die Situation in der katholischen Kirche.

WZO: Was ist neu an der überarbeiteten Auflage?

Helmut Gall: Aktuelle Ereignisse sind mit eingeflossen, zur Zeit der ersten Ausgabe war Benedikt, den ich im Buch oft zitiere, ja noch Papst. Außerdem sind Leserstimmen eingeflossen sowie neuere statistische Daten. So würden es laut einer ZDF-Umfrage im letzten Jahr 88 Prozent aller Befragten und sogar 84 Prozent der Katholiken begrüßen, wenn auch in der katholischen Kirche die Priester heiraten dürften.

WZO: An einem bestimmten Punkt in ihrem Leben haben Sie sich gegen den Priesterberuf und für Ehe und Familie entschieden. Was ist das Schöne an der einen und was an der anderen Lebensform?

Gall: Ehe und Priesterweihe sind beides Sakramente. Der Priesterberuf ist so vielseitig wie kein anderer, was menschliche Lebenssituationen angeht, man begegnet Menschen jeden Alters mit ihren Freuden und Sorgen, von der Taufe bis zur Beerdigung. Für mich war dieser Beruf deswegen sehr attraktiv, ich würde ihn gerne heute noch ausüben. Wenn man jedoch ein Sakrament als „heilswirksame Zeichenhandlung“ betrachtet, bei der man Gott nahe kommt, aus der man Kraft, Stütze, Hilfe erfährt – dann ist die Ehe das schönste Sakrament, hier ist die Nähe am deutlichsten spürbar. Ich will die Ehe nicht idealisieren, sie ist immer ein Wagnis und man kann auch scheitern, aber die Frage lautet doch: Warum will man den Priestern dieses Sakrament vorenthalten?

WZO: Ihr Buch fand ein breites öffentliches Echo, es gab Rundfunk- und Fernsehauftritte und zahlreiche öffentliche Lesungen. Haben Sie diesen Erfolg erwartet?

Gall: Nein, ich dachte, die Aussage ist ja so revolutionär eigentlich nicht, ich hatte es zuvor schon oft gesagt: Wer zölibatär leben möchte, darin einen Sinn sieht, soll es machen, aber bitte nicht verbindlich. Ich dachte eigentlich, damit würde man offene Türen einrennen. Was ist daran so schwer? Einige Erzkonservative könnten es unter dem Aspekt der Ganzheitlichkeit als Problem ansehen, in dem Sinne, dass sich Priester ganz auf ihre Aufgabe konzentrieren sollen. Aber es ist eine verschwindend kleine Minderheit, die so vehement am Zölibat festhält. Das Staunen und Unverständnis darüber wurde bei bisherigen Lesungen auch immer wieder deutlich. Negative Reaktionen habe ich hingegen so gut wie gar nicht erhalten.

WZO: Es herrscht Priestermangel, als Antwort darauf werden die Seelsorgeeinheiten vergrößert. Könnte die Abschaffung des Zwangszölibats nicht viel besser dafür sorgen, dass dieser Beruf wieder attraktiver wird?

Gall: Wenn ich junge Männer und Frauen vom Beruf abhalte, indem ich ihnen gleichzeitig die Lebensform vorschreibe, dann ist das nicht gerade förderlich. Ich habe mehrere Fälle erlebt, wo junge Referendare gerne Priester geworden wären, aber nicht auf die Ehe verzichten wollten. Aber der Zölibat ist sicher nicht der einzige Aspekt beim Nachwuchsproblem.

WZO: Ein prunksüchtiger Bischof, Kindesmissbrauch, Homosexuellen-Lobby – die katholische Kirche hat in den letzten Jahren einiges an Negativschlagzeilen gemacht. Aus einer Umfrage zur Sexualmoral der Gläubigen ging zudem kürzlich hervor, dass die Lebensrealität vieler Menschen sich nicht unbedingt an der kirchlichen Lehrmeinung orientiert. Was muss hier passieren, was wünschen Sie sich für die Zukunft der Kirche?

Gall: Eine Institution, die sich die Weitergabe und Pflege von Werten und die Frage nach dem Sinn auf die Fahnen geschrieben hat, muss es weiterhin geben. Insofern wünsche mir, dass die Kirche erhalten bleibt, in reformierter Form. Mit meiner Kritik, meinen Reformwünschen möchte ich ja genau das eigentlich erreichen. Zweitens, dass die Frau in der Kirche eine gleichrangige Stellung bekommt. Und warum auch nicht? In der männerdominierten Kirche wären Frauen ein wichtiges Korrektiv. Der liebe Gott hat die Menschen ja nicht ganz zufällig in zwei Variationen erschaffen. Wichtig ist vor allem eine Kirche, die glaubwürdig ist. Sie darf Fehler haben, aber die Bereitschaft für Reformen, die dem Leben der Menschen gemäß sind, muss da sein: Den Aussagekern, die zentrale Botschaft erhalten, aber die Aussageform anpassen.

WZO: Welche Rolle kommt hier dem Papst zu?

Gall: Papst Benedikt XVI. war theologisch integer, gescheit, hat aber leider während seines Pontifikats eine wichtige Chance verpasst. Vor über 40 Jahren stellte er als Joseph Ratzinger bereits die „Priesterweihe bewährter Menschen“ in Aussicht, er hätte einfach nur seiner Linie treu bleiben müssen, „neue Formen des Amtes“ zuzulassen; dazu wäre noch nicht einmal die Einberufung eines Konzils nötig gewesen. Papst Franziskus hat mich mit seinen Auftritten, in denen er ein Zeichen ´für eine „Kirche der Armut“ setzt, sehr beeindruckt, aber ohne die nötigen Reformen wird er es aufgrund des mächtigen Vatikan-Apparats vermutlich schwer haben, etwas zu bewegen. Man kann nur hoffen, dass der heutige Papst oder ein mutiger Nachfolger endlich handelt. Möglicherweise wird aber das frustrierte Kirchenvolk bereits in naher Zukunft den Mund aufmachen, wenn die Schmerzgrenze überschritten ist.